Der Volleyball in Deutschland fühlt sich im Aufwind. Spätestens seit der Qualifikation der Männer-Nationalmannschaft um die Berliner Johannes Tille, Ruben Schott und Tobias Krick im Oktober 2023 für die Olympischen Spiele in Paris richtet sich der öffentliche Fokus verstärkt auf die Sportart.
Ausverkaufte Hallen bei Länderspielen, erfrischende Auftritte in der Volleyball Nations League (VNL), Liveübertragungen im ZDF, aber auch das Wachstum der Bundesliga geben Grund zu Optimismus. Die jüngste erfreuliche Nachricht: Auch die deutschen Spiele bei der Weltmeisterschaft auf den Philippinen (12.-28. Sep) werden im Öffentlich-Rechtlichen kostenlos gestreamt.
"Das alles sind gute Anzeichen", bestätigt BR Volleys Geschäftsführer Kaweh Niroomand. Zahlen und Ergebnisse belegen die zunehmende Popularität der deutschen Nationalmannschaft und die guten Leistungen. Beim Test-Länderspiel Ende Mai in München gegen Italien war der BMW-Park mit 6.575 Zuschauern ausverkauft. Sie erlebten ein mitreißendes Match - der Weltmeister gewann sein allererstes Testspiel außerhalb Italiens knapp mit 3:2. Sämtliche rund 3.000 Tickets für die Partie gegen Belgien am 23. August in der LKH Arena Lüneburg waren innerhalb von 17 Minuten an den Fan gebracht. Prompt wurde für den 22. August ein weiteres Duell angesetzt, das sicher ebenfalls ausverkauft sein wird. Schließlich handelt es sich hier um die deutschen Generalproben für die am 12. September startende Weltmeisterschaft auf den Philippinen. Die Vorfreude darauf nimmt zu. Denn der einstige Underdog Deutschland reist nach den jüngsten Resultaten als respektierter Gegner zur WM. Diese wird wie zuletzt die VNL auf zdf.de mit deutschem Kommentar übertragen und damit einer breiten Masse kostenlos zugänglich gemacht.
In der VNL wurde zwar auch im siebten Anlauf wie immer die Endrunde der acht besten Teams verpasst. Aber fünf von zwölf Spielen wurden gewonnen, darunter eines mit 3:1 gegen Olympiasieger Frankreich; drei gingen teilweise unglücklich 2:3 verloren. Ein einziger Sieg mehr hätte für den Sprung ins Endturnier reichen können. Zwei andere Aspekte schlagen ebenfalls positiv zu Buche, zum einen die genannten Übertragungen der Partien bei ZDF. "Das ist sehr erfreulich, ein Riesenschritt", sagt Niroomand. Zum anderen schonte Bundestrainer Michal Winiarski nach einer kraftraubenden Saison über weite Strecken Stars wie Georg Grozer , Anton Brehme, Tille oder Moritz Reichert. Trotzdem hatte die Mannschaft gute Chancen weiterzukommen. Dementsprechend kommentierte der Pole: "Ich bin sehr zufrieden. Wir haben ein junges, neu formiertes Team, das fünf starke Siege eingefahren und viele enge Spiele abgeliefert hat."
Niroomand stimmt dem zu: "Sehr positiv war die Kaderbreite und dass sich viele Spieler auf diesem Niveau ernsthaft beweisen konnte. Die bewährten Kräfte konnten so eine kurze Pause einlegen. Der Kader unter den etablierten Leuten ist jetzt größer geworden. Diese Entwicklung finde ich sehr gut. Man beginnt echte Alternativen aufzubauen." Der BR Volleys Geschäftsführer erinnert an die Zeiten, als die bange Frage lautete: Was machen wir nur, wenn Georg Grozer nicht mehr spielen kann? Oder Lukas Kampa ? Für Zuspieler Kampa scheint mit Tille ein starker Nachfolger für die Zukunft bereits gefunden. Auf Grozers Diagonalposition bot sich in der VNL ein Spieler an, den bisher wenige auf der Rechnung hatten: der Herrschinger Filip John. "Man hat gesehen, dass die Leute durchaus international mithalten können und sich auch weiterentwickeln", findet Niroomand. "Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass dieser Sommer Spieler wie Filip John, ein ganzes Stück weiterbringt. Er hat mir sehr gut gefallen. Gar nicht zu reden von Tobias Brand und Erik Röhrs. Die machen jetzt einen Riesenschritt nach vorn."
Sein Blick geht allerdings gleich weiter: "Das lässt uns optimistisch in die Zukunft blicken. Umso wichtiger wird unsere Nachwuchsarbeit und dass die anderen in ihrer Nachwuchsarbeit voranschreiten. Wir haben jetzt die nächste Generation, müssen aber schon an die übernächste denken." Gewünscht hätte er sich, dass Winiarski auch den erst 20-jährigen Neu-Berliner Arthur Wehner zu einem der drei VNL-Turniere mitgenommen hätte, "damit Arthur da mal reinschnuppern kann". Niroomand orientiert sich an Polen, Frankreich und den USA: "Man muss nur schauen, was bei denen nachkommt. In so einen Flow müssen wir kommen." Verbunden mit der Zielsetzung äußert er zugleich Kritik: "Dazu muss der Deutsche Volleyball-Verband ein zielführendes Nachwuchskonzept auf die Beine stellen. Das sind bisher alles nur Fragmente. Es muss jemand da hinterher sein und diese Person bei den Vereinen präsent sein, damit wir den Übergang von der alten Generation zu dieser mittleren und der nächsten Generation hinbekommen." Als nächstes müsse also der Verband seine Hausaufgaben machen. "Das gilt auch für die Liga. Die Vereine müssen sich weiter stabilisieren. Dann kann der nächste Schritt folgen."
Denn bei aller Freude über das Auftreten der deutschen Nationalmannschaft bleibt ein Wermutstropfen. John verlässt die Bundesliga ebenso wie der Lüneburger Theo Mohwinkel Richtung Frankreich. Dessen bisherigen Teamkollegen Simon Torwie, der wie Mohwinkel in diesem Sommer gerade erst seine Länderspiel-Premiere erlebte, zieht es zu Itas Trentino an eine der Topadressen Italiens. So läuft das fast Jahr für Jahr. Es ist nicht immer eine Frage des Geldes, die talentiertesten deutschen Spieler meinen auch, sich im Ausland besser weiterentwickeln zu können. Aber ob ein Filip John dafür nach Frankreich muss? "Das wage ich zu bezweifeln", analysiert Niroomand, "das muss man von Fall zu Fall beurteilen." Unstrittig ist für ihn indes: "Wir müssen als Liga noch bessere Strukturen schaffen. Einmal sportlich, dass wir das Niveau weiter steigern. Und finanziell, damit wir die Gesichter, die Deutschland hervorbringt, hier halten können."
Es ist schon etwas in Bewegung gekommen. So wie die Basis der Nationalmannschaft vergrößert wurde, gelang dies in den vergangenen Jahren auch in der Volleyball Bundesliga (VBL). Mit den Aufsteigern FT 1844 Freiburg, Baden Volleys SSC Karlsruhe, ASV Dachau und VC Bitterfeld-Wolfen wurden zur Saison 2023/24 vier neue Standorte integriert, die sich mittlerweile etabliert haben. "Die neuen Teams konnten sich alle halten, gehen in die dritte Saison - das war ja auch nicht selbstverständlich", lobt Niroomand die Entwicklung, "und wir haben zwei neue Anwärter." Der SV Warnemünde und die Barock Volleys MTV Ludwigsburg wagen 2025/26 einen Anlauf in der ersten Bundesliga, die dann mit dem außer Konkurrenz startenden Nachwuchsteam VC Olympia die Rekordzahl von 15 Mannschaften ins Rennen schickt.
Am Ende der Spielzeit soll es auch wieder einen sportlichen Absteiger geben, was die Spannung und Attraktivität für die Klubs erhöht, die nicht auf Playoff-Plätze hoffen können. Die Zuschauerzahlen sind schon vergangene Saison erfreulich gewesen, nicht nur in Berlin, wo erneut mehr als 100.000 Fans in den Volleyballtempel strömten, im Schnitt waren es 4.889, das bleibt europaweit führend. Lüneburg, Giesen, die Neulinge Freiburg, die fast immer ausverkauft waren, und Karlsruhe meldeten steigende Zahlen. Bitterfeld-Wolfen zog für zwei Spiele in die Dessauer Anhalt-Arena und begrüßte dort gegen Lüneburg 1.700, gegen die BR Volleys mehr als 2.000 Zuschauer. Das sind alles positive Nachrichten. Um allerdings, wie von Niroomand gewünscht, die "Gesichter" in Deutschland zu halten, bedarf es noch größerer Anstrengungen. "Ich denke, die nächste Stufe ist, dass wir in Richtung Professionalisierung weitere Schritte unternehmen müssen. In erster Linie müssen die Vereine vor Ort wachsen", sagt er, "darauf müssen wir alle gemeinsam achten." Außerdem müsse die Marke VBL gestärkt, Großveranstaltungen wie das Pokalfinale in Mannheim oder die Liga- bzw. Supercups noch besser vermarktet werden. Neue Sponsoren, die die VBL gefunden habe, seien "wichtig und hilfreich, wenn die VBL neue Vertriebsaktivitäten entwickelt. Damit dies in das Wachsen der Marke VBL reinvestiert werden kann. Diese Erwartung dürfen wir haben, dass der Wert der Marke VBL weiter steigt. Und zwar nicht auf Kosten der Vereine vor Ort."
Zur steigenden Wertschätzung des Volleyballs in Deutschland würde beitragen, wenn die Nationalmannschaft auf den Philippinen ihren erfolgreichen Weg fortsetzen könnte. Slowenien, Bulgarien und Chile werden in der Gruppenphase versuchen, ihr den Weg ins Achtelfinale zu verbauen. Die gegenwärtige Entwicklung allerdings gibt Anlass zur Hoffnung, dass es auch von der WM positive Nachrichten gibt.


